Bericht von
MenschenrechtsbeobachterInnen über ihren Aufenthalt in einer autonomen
zapatistischen Gemeinde in Chiapas, México, im Spätsommer 2003 Hola, Ihr Lieben! Seit einiger Zeit aus unserer ersten
Gemeinde zurück, wollten wir drei Euch ein bißchen über unsere Erlebnisse
erzählen. Damit wir diese etwas besser vermitteln können, fangen wir erst mal
so richtig studentisch mit der Geschichte unserer tollen rebellischen
Gemeinde an, ohne die weder unsere Begeisterung, noch die Lebensrealität der
Menschen dort mitzuerleben ist. Bereits seit über zwanzig Jahren leben die Menschen dort im
Widerstand und haben somit schon lange, bevor die populäre Guerilla ans Licht
der internationalen Öffentlichkeit trat, für Würde, Freiheit und
Gerechtigkeit gekämpft. Diesen kämpferischen Weg beschritten sie in Form von
Landbesetzungen, kollektivem Zusammenleben und Aufbau von Autonomie. Vor fünf
Jahren zog die gesamte Gemeinde auf ein Gebiet, dessen „Fincero“
(=Großgrundbesitzer) schon seit 1994, dem Beginn des zapatistischen
Aufstandes, auf ominöse Art und Weise verschwunden ist. Die Ländereien wurden
schon früher in gerechteren Besitz aufgeteilt und von jenen besetzt, die es
schon vorher über lange Zeit bearbeiten mußten. Diese Geschichte führte
zuweilen zu so interessanten Fragen der „Indígenas“ (=UreinwohnerInnen) uns
gegenüber, ob wir denn gar keine Angst hätten, in der ehemaligen Finca zu
schlafen, da der Geist der Geschichte (gemeint war der Fincero) noch immer
nachts das Gelände heimsuchen soll, indem er mit seinem Pferd durch das
„Campamento“ (=Friedenscamp) trabt. Die Familien haben diese Finca aber nicht
zum eigenen komfortablen Wohnen genutzt, sondern nutzten sie auf ihrem
zapatistischen Wege als sinnvollen Gemeindebesitz. In der Finca gab es eine
Klinik, eine Schuhfabrik (zur Zeit nicht im Betrieb, sondern vor unseren
Augen halb abgebrannt, aber das ist eine andere, sehr lustige Geschichte),
ein Raum für BesucherInnen und eben unser Campamento. Aufgrund der langen Geschichte des Aufstandes machte die
Gemeinde auf uns einen sehr progressiven, in ihrer Überzeugung gefestigten
und zur Zeit trotz des Krieges der niederen Intensität einen sehr
unspaltbaren Eindruck. In diesen fünf Jahren, in denen die Zapatistas dieses
neue Gebiet nun bewohnen, haben sie es auf eindrucksvolle Weise geschafft,
ihre Bestrebungen nach und ihren Kampf für Autonomie Wirklichkeit werden zu
lassen. Diese gelebte Autonomie ist eines der Kernthemen des „Zapatismo“. Die
Menschen dieser Gemeinde realisierten vielfältige Projekte in komplett
eigener Regie, ohne dabei auf die Hilfe des „mal gobierno“ (=schlechte
Regierung) angewiesen zu sein. Denn diese sogenannten Hilfsangebote der
Regierung von Präsident Vicente Fox sollen nur dazu dienen, die „comunidades
en rebeldía“ (Gemeinden im Widerstand) zu spalten, und werden daher von den
Zapatistas aus tiefster Überzeugung abgelehnt. In der Gemeinde, die wir
besuchen durften, wurden so durch eigene Anstrengungen z.B. eine Schule, eine
Klinik, eine katholische Kirche und verschiedene Kollektive aufgebaut und betrieben. Bevor wir nun im einzelnen darauf eingehen, ist es uns wichtig,
kurz die zapatistische Organisationsform und -struktur, so wie wir sie
beobachten konnten, zu beschreiben. Denn es war schön, zu sehen, daß doch
noch andere Ansätze existieren als jene, die wir aus Deutschland und Europa
gewohnt sind. So werden z.B. wichtige Angelegenheiten, welche
gemeinderelevant sind, gemeinsam auf einer „reunión“ (=Versammlung)
besprochen. Wobei jedoch zu erwähnen ist, daß an den beiden reuniónes während
unseres Aufenthaltes jeweils nur Männer teilgenommen haben. Jedoch gibt es
auch Versammlungen der Frauen und solche, an denen alle partizipieren können.
Dort werden Arbeiten verteilt, wie z.B. die Fertigstellung der „tienda
colectiva de las mujeres“ (=Kollektivladen der Frauen), oder andere wichtige
Entscheidungen getroffen. Im Generellen werden diese Beschlüsse
gemeinschaftlich umgesetzt, sodaß jedeR etwas zum Gemeindeleben beisteuern
und mitgestalten kann. Eine Form davon ist u.a. auch der einmonatige Beitrag,
den die Jugendlichen in den beiden „tiendas“ (=Läden) leisten, aber nicht,
ohne dabei den Gemeindeplatz mit der herrlichen mexikanischen ¾-Takt-Musik zu
beschallen. (Die duftesten Tapes haben wir uns natürlich schon gebunkert,
also macht Euch schon einmal auf was gefaßt - die nächste fiesta kommt
bestimmt!) Es gibt natürlich auch viele familieninterne und individuelle
Arbeiten, jedoch überraschte uns die große Anzahl von Kollektiven. So werden
zwei „camionetas“ (das Fortbewegungsmittel número uno, ein Kleinlaster mit
käfigartigem Aufbau hinten, welcher in good old Germoney für ca. sechs
Menschen ausgelegt wäre, vorausgesetzt, es würden Sitzbänke und
Sicherheitsgurte existieren, sich aber hier gut und gerne einmal 20 Menschen,
ein paar Hühner und ein paar Säcke „frijoles“ (=Bohnen) tummeln) für den
Transport kollektiv genutzt, es gibt je eine Werkstatt für Kunsthandwerk und
für die Schuhfabrikation, es werden verschiedene Früchte und andere Produkte
angebaut und auch Schweine sowie Hühner gemeinschaftlich ernährt und genutzt. Besonders angetan hatten es uns die Schule und die Klinik,
welche durch ein geniales und autonomieförderndes System von verschiedenen
„promotores“ (=Beauftragte) verwaltet und betreut werden. In der Schule
arbeiten fünf „promotores de educación“, die in drei Klassenräumen und mit
Hilfe einer kleinen, aber hinreichend ausgestatteten Bibliothek die Kinder
der Gemeinde unterrichten. Dabei wird der Unterricht vorrangig in „Tseltal“,
der indigenen Sprache dieser Region, aber zuweilen auch in Spanisch gehalten.
Die Fächer sind neben diesen beiden Sprachen Mathematik, Naturwissenschaften
und vor allem natürlich der „Zapatismo“ und die indigene Kultur, welche in
einer staatlichen Schule sicherlich keinen Niederschlag finden würden. Was an
unseren Hochschulen noch gelehrt wird, ist hier schon in die Realität
umgesetzt, denn der Schulalltag ist in verschiedene Interaktionsphasen
eingeteilt, nämlich sowohl gemeinschaftliches als auch individuelles Arbeiten
der SchülerInnen. Die promotores waren alle zwischen 18 und 22 Jahren alt und
stammen aus der Gemeinde. Nachdem sie selbst die „Primaria“
(=Grundschulausbildung) ihrer comunidad durchlaufen haben, welche zu dieser
Zeit noch von einer Lehrerin der Zivilgesellschaft geleitet wurde, erlangten
sie durch einen Crashkurs von LehrerInnen aus D.F. (destrito federal=Mexiko-Stadt)
ihre Qualifikation als promotor. Dadurch können sie nun eine autonome Bildung
von und für die Gemeinde verwirklichen. Die Klink, welche eine unerwartet gut ausgerüstete
Krankenstation darstellte, wurde ebenfalls von zwei „promotores de salud“
betreut. Falls jemand einer Familie erkrankt, wird ein promotor kontaktiert,
um diesen Menschen zu untersuchen oder gegebenenfalls kostenlos mit
Medikamenten zu versorgen. Des Weiteren besuchen die Ärzte ohne Grenzen jeden
Monat einmal die Gemeinde für drei oder vier Tage, um die Medikamente
aufzufrischen, Behandlungen vorzunehmen und verschiedene Aufklärungsmaßnahmen
sowie Präventivprojekte durchzuführen. Das Deutsche Rote Kreuz ließ sich auch
öfter mal blicken und vermittelte mit Hilfe eines Puppentheaters wichtige
Hygienemaßnahmen, wie z.B. die Errichtung einer Latrine. Vor allem boten
beide Organisationen Weiterbildungsworkshops für die „promotores de salud“
dieser Region an, die z.B. Erste-Hilfe-Maßnahmen oder die Funktionsweise
eines Tropfes behandelten. Jedoch ist dabei wichtig zu erwähnen, daß beide
Organisationen sich innerhalb des nächsten Jahres aus Chiapas zurückziehen
werden. Dies ist natürlich nicht mit einem ausreichenden Gesundheitsstatus zu
begründen, sondern könnte viel eher eine Folge der Propaganda der Regierung
Fox sein, die bei einem Staatsbesuch in Deutschland behauptet hat, daß es
überhaupt keinen Konflikt mehr in Chiapas gäbe, und daß von daher keine Hilfe
aus dem Ausland mehr nötig sei. Daß der Konflikt keineswegs ein Hirngespinst ist, bewies die
starke, vor allem nächtliche Aktivität in der Funkstation der Gemeinde,
welche rund um die Uhr betreut wird. Mit dieser Einrichtung können sich die
Zapatistas mit anderen comunidades und den „Juntas del Buen Gobierno“
(=regionale Räte der autonomen zapatistischen Regierung) austauschen,
weswegen wir nun auch vermuten, daß diese verstärkte Aktivität mit den
Vorfällen in Roberto Barrios und in der Selva (=Regenwaldgebiet)
zusammenhingen. (Dort waren in den vergangenen Wochen eine erhöhte
Militärpräsenz sowie zunehmend Übergriffe von Paramilitärs auf die
zapatistischen Gemeinden zu verfolgen.) Bleiben noch die Kirche und die kooperative Küche zu erwähnen:
In der Kirche werden jeden Sonntag zwei Messen gehalten, in denen es nach
zapatistischem Verständnis durchaus auch einmal zu Diskussionen kommen kann.
Zweimal täglich wurde uns in der Küche ein leckerer Schmaus aus Reis,
Tortillas (Maismehlfladen) und - na klar - frijoles zubereitet. Dies war aber
auch wieder ein gutes Beispiel für die Organisationsleistung der Menschen vor
Ort, denn jeden Tag gab es ein neues verantwortliches Paar, wobei es sich
dabei immer um Frauen handelte. Diese comunidad wird dreimal jährlich durch eine Karawane der
Zivilgesellschaft aus D.F. besucht, um verschiedene Projekte zu realisieren,
wodurch deutlich wird, daß die Zapatistas in ihrem Kampf für Demokratie,
Freiheit, Gerechtigkeit und Autonomie nicht alleine sind, sondern auch regen
Rückhalt finden. Unsere Begeisterung über den politischen Weg soll aber nicht
darüber hinwegtäuschen, daß die Gemeinde trotz allem arm ist und die Realität
der harte Maiskolben des täglichen Überlebens ist, wie wir es uns bei unserem
täglich reichlich vorhandenen Brot kaum vorstellen können. Die Frauen
bekommen bis zu 12 Kinder, wovon oft bis zu drei im frühesten Alter an
Fieber, Husten oder Baucherkrankungen sterben. Der Versuch, einmal den
Tortillateig herzustellen, entpuppte sich für uns schon nach wenigen Minuten
zu einem sehr anstrengenden Unterfangen. Dieser ganze Prozeß dauert
unglaublich lange, die Frauen stehen um 4.00 Uhr morgens auf und arbeiten
ununterbrochen bis 7.00 Uhr abends, wobei die Kinderbetreuung auch noch in
ihren Aufgabenbereich fällt. Der Arbeitstag der Männer gestaltet sich
insofern, als sie schon früh morgens bis zu einer Stunde zur „Milpa“ (=Mais-
und Bohnenfeld) laufen, um nach einem anstrengenden Arbeitstag ihr
Körpergewicht noch einmal in Form von Maisernte, auf Kopf oder Rücken in
Säcken mit Stricken befestigt, in ihre Hütte tragen. Die Versorgung der Familien verläuft überwiegend
subsistenzwirtschaftlich, zumal der Kaffeepreis zur Zeit bei den „Coyotes“
(=Zwischenhändler auf dem Weg zum Weltmarkt) bei 5 (!) Pesos pro Kilo liegt
und damit in den letzten 5 Jahren um ca. 80% gefallen ist, da sie vor wenigen
Jahren noch 30 Pesos pro Kilo bekamen (ein Beispiel für die Folgen der
Subventionen der Weltbank und des IWF für den Kaffeeanbau in Vietnam, der den
Weltmarktpreis für Kaffee auf den niedrigsten Stand seit langem bringt). Nach
Aussagen der „Campesinos“ (=Bauern) lohnt sich der Verkauf von Mais schon
lange nicht mehr... Eines der vielen schönen Erlebnisse in der Gemeinde war, daß die
weiblichen Campamentistas an einer Frauenversammlung zum Thema
Frauengesundheit und Aufklärung teilnehmen durften. Damit durften wir einen
Einblick in das Leben der Frauen gewinnen, das sich trotz revolutionärer
Frauengesetzte großenteils im Privaten bewegt. Trotz aller Schwierigkeiten
organisieren sich die Frauen in unserer Gemeinde mehr und mehr. Wir konnten
die Eröffnung des Frauenkollektivladens miterleben und einige Frauen treffen,
die in den Kampf um Würde und Gerechtigkeit auch die Geschlechterverhältnisse
vehement einbeziehen. Wir haben Menschen mit großartigen Herzen kennengelernt,
die versuchen, eine andere Welt zu schaffen und eine Verbesserung ihrer
Lebenssituation zu erkämpfen, auch ohne sich wegen unterschiedlicher
theoretischer Analysen zu streiten. Achtung, jetzt kommt der revolutionsromantische Teil ;-) : Mit
viel Begeisterung haben wir einen großen roten, schwarzumrandeten Stern an
die Kollektivküche malen dürfen, gerahmt vom Text einer aufständischen Hymne.
Wir haben Maiskolben auf der Milpa gegessen und den unglaublichen Geschmack
von frischem Zuckerrohr genießen können. Und wir wurden trotz der Armut zu so
tollen Dingen wie Maispudding-, Maispfannkuchen- und Maisgriesessen
eingeladen. Angefüllt mit Glück und vieler neuer Energie mußten wir die
Gemeinde nach zwei Wochen schweren Herzens wieder verlassen. Bei unserer Rückkehr
in die technischen Möglichkeiten der Stadt erfuhren wir dann, daß das zur
Zeit noch von Militärs recht unbehelligte Leben „unserer“ Gemeinde eine
Ausnahme war. Die Regierung scheint eine neue Offensive gegen die seit der
Geburt der „Caracoles“ (=Schneckenmuscheln – so werden seit neuestem die
regionalen Versammlungsorte der Zapatistas genannt, in denen sich die Juntas
del Buen Gobierno befinden) weiterentwickelte Autonomie zu starten. In vielen
rebellischen Gebieten gibt es seit zwei Wochen eine erhöhte Militärpräsenz.
In dem Caracol Roberto Barrios kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen auch
Schüsse auf Häuser der Zapatistas fielen. Genauso schlimm gestaltet sich die
Situation im Gebiet Montes Azules in der Selva, nachdem die Regierung eine
propagandistische Fernsehkampagne gegen die dort lebenden Zapatisten senden
ließ, in der selbst die MenschenrechtsbeobachterInnen als Invasoren
dargestellt wurden. Mit diesem Hintergrund und der gespannten Situation wird
die Entsendung von MenschenrechtsbeobachterInnen in der Öffentlichkeit
delegitimiert und auch der möglichen weiteren Vertreibung der dortigen
Bewohner Vorschub geleistet. Mehr dazu und auch zu den kommenden Aktionen
gegen den Gipfel der WTO in Cancun im nächsten Rundbrief, der, versprochen,
nicht sooooooo lang wird. Liebe
Grüße an alle, Gisela,
Hanni und Nanni, sowie die schwarzen kleinen süßen Schweinchen -> Startseite Gruppe
B.A.S.T.A. |